2008 und 2010 strahlte das ZDF die Dokumentarreihe „Die Deutschen“ über die Geschichte Deutschlands aus. Die Reihe erhielt eine Menge Kritik (zum Beispiel hier, hier, hier und hier), vor allem wurden die oberflächliche Darstellung, die Fokussierung auf einzelne Persönlichkeiten und eine ganze Reihe von historischen Detailfehlern kritisiert. Das Beste an diesen Filmen waren wahrscheinlich die eingestreuten, kurzen Historiker-Interviews. Begleitet wurde die Reihe mit einer leider nicht mehr existierenden Website, die ergänzend ausführlichere Interviews zeigte. Hier folgen Mitschriften dieser Interviews zur Folge "Karl der Große und die Sachsen".
Mit den Karolingern kommt etwas Neues, nämlich dass das Königtum völlig auf dem Papst bezogen ist. Das Königtum wird nun durch den Papst legitimiert. 754 wird zwischen dem Papst und Pippin, der neuen Karolingerdynastie, und seinen Söhnen ein Bündnis geschlossen. Das ist eine folgenreiche Verknüpfung. Die sakrale Würde, die Karl der Große durch den Papst erhält, ist einerseits die Gnade Gottes die auf ihn kommt, aber andererseits auch die Verpflichtung, Schutzherr der Christenheit zu sein und für die Ausbreitung des Christentums zu Sorgen. Das heißt, Karl hat den Auftrag angenommen missionarisch tätig zu sein, was nötig ist, um seine Macht als König legitimieren zu können.
Karl der Große war erfüllt von der Idee, die Gebote und Gesetze Gottes zu verbreiten und auch dazu vorbereitet die Kriege, die Heidenkriege, gegen die Sachsen als Missions- und Eroberungskriege zu führen. Der Krieg gegen die Sachsen, den Karl der Große geführt hat, wirkt auf uns heutzutage ausserordentlich brutal. Wir können ihn - wenn überhaupt - nur verstehen, wenn wir daran denken, dass Karl von dem Gedanken überzeugt war, die seiner Ansicht nach bestmögliche Gesellschafts-, Glaubens-, und Lebensordnung in der Welt zu verbreiten, es sozusagen ein Krieg von Gut gegen Böse war.
Das Blutbad von Verden im Jahr 782 ist die größte Gewalteskalation der Sachsenkriege. Die Franken schmücken sich selbst damit, 4500 Sachsen hingerichtet zu haben. Sie sehen das als eine gerechte Strafe, die man gar nicht diskutieren kann. Man muss sich darüber klar werden, welche Welten hier aufeinander prallten. Für uns ist die Hinrichtung von 4500 Sachsen, die sich gerade ergeben haben, ein Kriegsverbrechen, aber in der Wahrnehmung der christlichen Missionare sind das alles Sachsen, die die Taufe angenommen haben und dann zu ihrem Heidentum zurückgekehrt sind. Das alles ist ein todeswürdiges Verbrechen, und kann gar nicht anders als mit der Todesstrafe bestraft werden. Wir sehen sehr deutlich die Sprachlosigkeit der beiden Kulturen: Der christlichen Franken einerseits, die ein göttliches Urteil vollstreckten, und andererseits die Sachsen, die gar nicht ermessen können, was die Taufe und die Rückkehr zum Heidentum religiös bedeuten könnte.
Zu einer bestimmten Phase des Krieges verengt sich die Auseinandersetzung auf eine Auseinandersetzung zwischen Karl und Widukind. Es geht Karl darum, dass Widukind die Waffen streckt und nicht so sehr die Sachsen als Ganzes. Von daher hat die Taufe Widukinds in Attingy für Karl und die Franken insgesamt den Charakter des Triumphes und des Sieges über die Sachsen. Bei der Taufe in Attingy fungiert Karl als Taufpate Widukinds, das bedeutet für Widukind eine ganz besondere Auszeichnung. Hiermit fassen wir einen politischen Kompromiss: Widukind streckt zwar die Waffen, wird aber in außerordentlicher Weise herausgestellt und seine Führung der Sachsen wird sozusagen letztlich im Nachhinein von Karl anerkannt.
Die Taufe Widukinds im Jahr 785 war für Karl ein ungeheurer Erfolg. Seine Chronisten haben notiert: „Ganz Sachsen ist jetzt unterworfen“. In Wirklichkeit brauchte es aber noch einmal fast 20 Jahre bis es soweit war. Trotzdem war man sich sicher, dass man jetzt ein christliches Reich unter einem christlichen König mit lauter christlichen Bewohnern errichtet hatte. Die Geschichte hat gezeigt, dass es noch viele Widerstände gab und das das Heidentum der Sachsen bis 804 immer wieder aufbrach.
Für uns sind Franken und Sachsen germanische Völker. Tatsächlich haben wir aber zwei völlig unterschiedliche Systeme, nicht nur in der Religion, sondern auch in der Sprache, in der Kultur, vor allem Dingen in der Gesellschaftsstruktur. Der Sieg der Franken hat deshalb viel länger gedauert als bis zum Jahr 804. Es brauchte Generationen bis man diese fränkischen Gesellschaftsformen, aber auch die christliche Kultur der Franken, in Sachsen eingepflanzt hatte. Über diesen langsamen Prozess, der nicht so spektakulär war wie die Schlachten Karls des Großen, sind wir nur unzureichend unterrichtet. Aber wir wissen, dass es den Sachsen selbst über 100 Jahre später noch bewusst ist, dass sie „von einer Magd zu einem Herren aufgestiegen“ sind. Das sind die Worte eines sächsischen Chronisten, Widukind von Corvey, der damit genau diesen Emanzipationsprozess zeigt: Damit ist die Schmach der Niederlage getilgt und die Sachsen steigen im 10. Jahrhundert zu Königen und Kaisern auf.
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